Besser Streiten

Besser streiten – Wie kann ich Konflikte geschickt ansprechen?

Illustrationen: Laura Grahn

Morgens in der Teeküche für das Team: überall benutztes Geschirr, die Spülmaschine von gestern ist noch nicht ausgeräumt, die Kaffeedose ist leer. Andrea ist so richtig sauer, als sie früh ins Büro kommt und sich einen Kaffee kochen möchte, bevor sie mit der Arbeit loslegt. IMMER muss sie morgens aufräumen, da sie als erste kommt und Renates Chaos vom Nachmittag beseitigen. Nun ist das Fass so langsam am Überlaufen. Die kann was erleben heute. Jetzt reichts.

Vielleicht kommt Ihnen diese oder eine ähnliche Situation vertraut vor aus dem Arbeitsalltag? Was sind Ihre Strategien im Konflikt, die wirklich weiterhelfen und zur Deeskalation führen?

Konflikte und Streits gehören zu unserem Leben dazu wie das Salz in der Suppe. Wir alle haben mit ihnen zu „kämpfen“. Manchmal belasten sie uns so stark, dass wir körperliche Symptome bekommen. Wir können nicht mehr schlafen, haben Bauchweh oder Kopfschmerzen. Und gleichzeitig können Auseinandersetzungen auch ganz viel Veränderung und Positives mit sich bringen. Wenn wir sie gut gestalten, führen sie zur Klärung und Verbesserung der Beziehung zum Gegenüber und zu einer entspannteren Situation.

Im Umgang mit unseren Mitmenschen sind Konflikte an der Tagesordnung: der Ärger über die Unordnung von Renate, der Disput mit der Nachbarin über die Rasenmähzeiten, der Streit mit unserem Partner über die Kindererziehung oder auch die Diskussion mit den Kindern, wann gelernt werden sollte. Gelegenheiten gibt es unzählige – und kaum eine wird ausgelassen, um die eigene Technik zu verbessern. Es geht ums Gewinnen.

In der Schule lernen wir Rechnen, Lesen und Schreiben; unser Konfliktverhalten wird dort leider nicht geschult. Niemand bringt uns bei, wie wir uns beim Streiten gut und friedlich einigen können. Wir eignen es uns so „nebenbei“ im Umgang mit Familie, Freunden und im Beruf an. Meistens entwickeln wir unbewusst unsere persönliche Konfliktstrategie. Oft hilft uns diese Strategie im Zusammensein mit unseren Mitmenschen aber wenig weiter. Nicht selten fühlen wir uns unseren Reaktionen und Gefühlen hilflos ausgesetzt: wir sind gekränkt, ziehen uns zurück, schmollen oder sind auf hundertachtzig, werden laut, knallen mit der Tür. Im Nachhinein tut uns die Reaktion dann oft leid, wir sind unglücklich über das eigene Verhalten, traurig über den Verlauf des Streits.

Wie können wir gelassen Streiten und gemeinsam gute Lösungen finden? Wie lassen sich Konflikte „überstehen“, ohne dass wir sie als große Belastung empfinden müssen?

Als Mediatorin und Coach ist es mir ein Bedürfnis, zu helfen, Konflikte möglichst gut zu meistern! Jeder von uns hat es schon erlebt, wie sehr uns Konflikte belasten. In meinem Beruf erlebe ich es fast täglich, dass Menschen in Konfliktsituationen verzweifeln und nicht wissen, wie sie die Situation verbessern können.

Konflikte gehören zu unserem Leben. Sie entstehen unweigerlich, weil wir unterschiedliche Wahrnehmungen, Sichtweisen und Werte haben. Konflikte sind die Regel – und nicht die Ausnahme. Das Gute daran: jeder Konflikt bringt neue Sichtweisen an den Tag. Und wer genau hinschaut, für den kann das ein Gewinn sein!

Unterschiedliche Erwartungen, Enttäuschungen, verschiedene Meinungen und Ansichten prallen im Konflikt aufeinander. Das ist völlig normal und alltäglich. Ohne Konflikte wäre das Leben vermutlich langweiliger. Die Frage ist nicht, ob wir Konflikte haben, sondern eher wie wir damit umgehen.

Hier neun Tipps, wie es etwas leichter gelingen kann, einen Streit konstruktiv zu lösen:

 Tipp 1: Wertschätzend und respektvoll bleiben

„Halte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hin, auf dass er hineinschlüpfen kann, und schlage sie ihm nicht wie einen nassen Fetzen um den Kopf“. – Max Frisch

Kommunikation sollte generell von Wertschätzung getragen sein, auch bei kritischen Themen. Wenn wir es schaffen, respektvoll zu bleiben, dann wird die Kommunikation einen wesentlich entspannteren Verlauf nehmen können. In hochgekochten Konfliktsituationen ist dies nicht so einfach. Beleidigungen, Herabwürdigungen, Schreien usw. helfen in der Regel nicht weiter. Schläge unter die Gürtellinie führen häufig zu einer endgültigen Eskalation der Situation. Wenn Sie merken, Ihnen oder Ihrem Gesprächspartner gelingt das im Moment nicht, dann verlassen Sie lieber die Situation und verweisen Sie darauf, dass Sie später in Ruhe nochmal ein Gespräch wünschen, dass Sie aber das Gespräch jetzt erstmal beenden möchten.

Tipp 2: Gut zuhören

„Verstehen, ohne einverstanden sein zu müssen. Das ist das Geheimnis.“

Es klingt banal und ist dennoch so wichtig: Nehmen Sie sich in aller Ruhe Zeit, dem anderen zuzuhören. Signalisieren Sie ihm durch zugewandte Körperhaltung und Blickkontakt, dass Sie wirklich zuhören. Versuchen Sie, nachzuvollziehen, worum es Ihrem Gegenüber geht. Ist seine Sicht der Dinge so abwegig? Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie wirklich alles richtig verstanden haben, fragen Sie lieber nochmals nach. Das Gefühl, dass jemand uns wirklich zuhört und dass dem Gegenüber viel daran gelegen ist, meine Sicht der Dinge zu verstehen, verstärkt oft die Bereitschaft zum Entgegenkommen. Häufig ist das gegenseitige Zuhören der Schlüssel zur Konfliktlösung.

Tipp 3: Die eigenen Emotionen im Blick behalten

Unsere Emotionen lenken uns. Wir Menschen sind „Gewohnheitstiere“, d. h. wir handeln auf unterschiedliche Reize nach bestimmten Mustern. Das sind erlernte „Automatische Reaktionsmuster“. Bestimmte Reize wie Formulierungen, Verhalten, Gesten, Geräusche oder auch Düfte aus der Vergangenheit triggern uns an. Diese „Triggerpunkte“ können überraschend im Gespräch auftauchen und heftige emotionale Reaktionen, wie Wut und Ärger oder auch Stress auslösen. Diese sind schneller als wir denken können und eine Folge, wenn wir uns bedroht fühlen. Diese Automatik schränkt die Wahrnehmung ein. Daraus folgen Kurzschlusshandlungen, Angriffe bzw. eine „Täter-Opfer“- Sicht. Folgende drei Schritte können uns helfen, um die eigenen Emotionen im Blick zu behalten:

1. Auslöser früh erkennen: Herausfordernde Situationen frühzeitig daraufhin untersuchen, was sie bei uns auslösen. – Herzrasen, „dicken Hals“, Magengrummeln…

2. Innehalten: Ausgelöste innere Reaktionen nicht wegschieben, sondern innehalten und erforschen: Weshalb ist das gerade so? Was passiert da genau?

3. Selbstführung übernehmen: Liegt ein besseres Verständnis für die inneren Reaktionen vor, können Gefühle und Reaktionen integriert oder auf Distanz gehalten werden, um gut mit der Situation jeweils umgehen zu können und sich angemessen zu regulieren.

Gefühle sind tendenziell nur von kurzer Dauer. Im Durchschnitt wechseln sie alle 40 Sekunden. Man kann ein Gefühl noch schneller abklingen lassen: Schon nach 11 Sekunden aufmerksamen Beobachtens der eigenen Emotionen sinkt der Erregungspegel in der Amygdala, dem Angstzentrum des Gehirns. Das haben Zürcher Forscher herausgefunden. Zählen Sie langsam bis 11, statt 10, wenn Sie dabei sind, wütend auf etwas zu reagieren.

Tipp 4: Auf Lösungen fokussieren 

„Willst Du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht nicht!“.Marshall B. Rosenberg

Ein Streit darüber, wer Recht hat, führt in den seltensten Fällen zu einer Verbesserung der Situation und umso häufiger in eine Sackgasse! Konzentrieren Sie sich mit Ihrem Gesprächspartner besser darauf, wie eine gute Lösung aussehen könnte.

Tipp 5: Vorwürfe und Verallgemeinerungen vermeiden: „VW“-Formel

Vorwürfe und Verallgemeinerungen wie „Typisch für dich“, „Immer machst du …“ helfen nicht dabei, gute Lösungen zu finden, sondern führen vielmehr zu weiterer Eskalation. Nutzen Sie am besten die „VW“-Formel:

Vorwürfe (V) sind unerfüllte Wünsche (W)

Anstelle von „Nie räumst du die Spülmaschine aus!“ ist es also hilfreicher zu formulieren „Bitte lass uns abwechselnd die Spülmaschine ausräumen!“

Bleiben Sie bei Ihren Ausführungen bei der gegenwärtigen Situation. Der Blick auf die Vergangenheit verschlimmert die Situation meistens erheblich. Der Fokus des Gesprächs sollte immer auf dem Finden einer für alle akzeptablen Lösung liegen!

Tipp 6: Die innere Einstellung zum Konflikt überprüfen

Oft erlebe ich, dass Konflikte als etwas Negatives angesehen werden. Menschen sagen über lange Zeit dem Gegenüber nicht, was sie stört oder bewegt, nur um Streit zu vermeiden. Irgendwann ist der aufgestaute Frust dann so groß, dass es zur Eskalation kommt. Durch den angestauten Ärger reagieren wir viel heftiger, als es angemessen wäre, wir sammeln Rabattmarken. Viel besser ist es, Konflikte nicht zu meiden, sie als etwas ganz Alltägliches und auch Unvermeidbares anzusehen und dem anderen in aller Ruhe zu sagen, was uns stört. Dann beinhalten Konflikte plötzlich Chancen zur Verbesserung der Situation.

Tipp 7: Klarheit über eigene Bedürfnisse finden: Worum geht es Ihnen wirklich?

„Konflikte sind der tragische Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse.“ – Marshall B. Rosenberg

Oft halten wir an der eigenen Position fest und vergessen dabei, worum es uns eigentlich geht. Im oben benannten Beispiel mit der unaufgeräumten Teeküche war Andrea felsenhaft überzeugt, dass Renate ihre Hilfsbereitschaft ausnutzt und es sich nachmittags gemütlich mit Kaffeetrinken macht. Im Klärungsgespräch stellte sich dann heraus, dass Renate am Nachmittag, wenn Andrea schon zu Hause ist, viele unangenehme Beschwerdegespräche von Kunden auffangen muss, die am morgen nicht anfallen. Das stresst sie sehr und sie hat das Bedürfnis nach Ausgleich bzw. Gleichberechtigung der Arbeit. Deshalb sah sie den Bereich Teeküche bei Andrea. Beide Kolleginnen haben also das gleiche Bedürfnis nach Gerechtigkeit im Miteinander.

Wenn die Bedürfnisse aller Beteiligten bekannt sind, lassen sich meistens ganz schnell gute Lösungen finden. In dem Fall war die Einigung, dass Renate und Andrea sich die Arbeitszeiten neu aufteilten, so dass jeder anteilig „schwierige“ Telefonate und auch die Teeküche übernimmt.

Tipp 8: Einen positiven Verlauf des Gesprächs vorstellen

Wenn wir eine Aussprache vor uns haben, programmieren wir uns oft selbst negativ und stellen uns in heftigster Form vor, dass die Situation unschön verläuft und im Streit endet. Oft sind wir dann schon so auf Ärger programmiert, dass wir ihn wie „magisch“ anziehen und es auch tatsächlich dazu kommt. Bevor Sie eine Aussprache suchen, versuchen Sie, in eine positive Stimmung zu kommen und sich vorzustellen, wie das Gespräch entspannt abläuft und Sie selbst  souverän bleiben. Malen Sie sich einen guten und erfolgreichen Verlauf der Aussprache in allen Einzelheiten aus. Wenn wir mit positiver Einstellung in ein Gespräch gehen, verläuft es in der Regel wesentlich entspannter.

Tipp 9: Konfliktgespräche gut vorbereiten mit „Sag es“

(Quelle: Thomas Schmidt, Konfliktmanagement-Trainings erfolgreich leiten, Verlag Manager-Seminare, 3. überarbeitete Auflage 2011)

Eine bewährte Formel, um Konflikte konstruktiv anzusprechen, ist die „Sag es“ – Struktur, die sich an den vier Schritten der Gewaltfreien Kommunikation anlehnt. Diese kann für die eigene Vorbereitung sehr hilfreich sein, um sich zu sortieren und den eigenen Ärger gut zu formulieren.

Beim Streitgespräch geht es nicht darum, dem anderen eine Schuld zuzuweisen. Vielmehr ist es wichtig, störendes Verhalten mitzuteilen und an einer Veränderung zu arbeiten, bevor der eigene Ärger das Arbeitsklima belastet. „Sag es“ ist ein Leitfaden zum konstruktiven Ansprechen von Konflikten oder Kritik, wobei jeder Buchstabe hier für einen Schritt steht. Andrea könnte ihren Ärger z. B. folgendermaßen ansprechen.

S ichtweisen schildern

Starten Sie das Gespräch, indem Sie ihre eigene Wahrnehmung beschreiben – ohne Verallgemeinerungen und Bewertungen.

„Renate – mir ist aufgefallen, dass in der letzten Woche morgens, wenn ich kam, die Spülmaschine noch nicht ausgeräumt war und das schmutzige Geschirr oben auf der Ablage stand. Heute früh war kein Kaffee mehr da.“

A uswirkungen beschreiben

Jetzt beschreiben Sie die Auswirkungen auf sich und auf andere.

„Für mich heißt es, dass ich dann erst mal aufgeräumt habe, bevor ich mit der eigentlichen Arbeit starten konnte und ehrlich gesagt hätte ich auch gerne eine Tasse Kaffee getrunken.“

 G efühle benennen

Sie machen dem anderen deutlich, was der Konflikt für Sie ganz persönlich bedeutet. Das ist im betrieblichen Kontext eher schwer und wird in der Regel vermieden. Dennoch ist das Ausdrücken der Gefühle wichtig, um dem anderen mitzuteilen, wie wichtig das Thema für Sie persönlich ist. Außerdem kommen die Gefühle in der Regel auch non-verbal zum Ausdruck und beeinflussen die Situation.

„Das hat mich wirklich frustriert und auch ausgebremst in meiner Energie!“

 Mit diesen drei Schritten ist der Konflikt klar angesprochen! Danach geht es weiter in den Dialog mit dem Gesprächspartner

 E rfragen, wie der andere die Situation sieht

An dieser Stelle ist es wichtig, sich zurückzunehmen und die Hintergründe des anderen zu erfragen. Fassen Sie die Aussagen des Gesprächspartners zusammen, so signalisieren Sie, dass Sie aktiv zuhören und versuchen, seine Ansichten zu verstehen.

„Was ist der Grund, dass du die Spülmaschine noch nicht ausgeräumt hast?“

 S chlussfolgerung

Gemeinsame Lösungssuche für die Zukunft, das ist die Phase der Diskussion und des Austausches, mit offenem Ende. Hier wird es in der Regel erhellend, denn beide Seiten können einen Perspektivnwechsel vornehmen und in die Welt des jeweils anderen eintauchen und wechselseitig die Beweggründe nachvollziehen. Eine klare gemeinsame Vereinbarung am Ende rundet den Prozess ab.

„Ich kann verstehen ….und gleichzeitig ist mir wichtig…!“

Mit ein wenig Übung werden Sie schnell erlernen, diese Methode schon während eines Streits einzusetzen.

Vielleicht konnten Sie einige Anregungen mitnehmen als kleine Hilfestellung für den nächsten Streit. Auch bei Konflikten gilt die Devise „Übung macht den Meister“ um „Besser streiten“ zu können.

Ich wünsche Ihnen für die Zukunft gute und gelingende Konfliktklärungsgespräche! 

Ihre Beate Pflieger-Lorenz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.