„Sprich doch mal langsamer“

„Wie soll ich bitte schön langsamer reden?“
Das ist eine Frage, die ich häufig in meinen Stimmcoachings höre. Vor kurzem habe ich Franka zu diesem Thema begleitet. Sie ist viel im Kundenkontakt und hat regelmäßig sehr lange und anstrengende Redesituationen auf Messen. Sie selbst hatte gar nicht den Eindruck, zu schnell zu reden.

„Wie mit 180 km/h auf der Autobahn“
Menschen aus ihrem Umfeld meldeten ihr aber zurück, dass sie „rast“ und deswegen nicht gut verstanden wird bzw. dass sich Kommunikationspartner regelrecht „überfahren“ fühlen. „Du klingst immer wie mit Tempo 180 km/h auf der Autobahn“, hörte sie auch von ihrer vertrauten Kollegin, deren Meinung ihr viel bedeutet. „Das ist echt anstrengend.“ Durch diese Rückmeldung wuchs bei ihr das Bedürfnis, etwas zu ändern und sie kam mit dem Thema zu mir ins Coaching.
Ihr Ziel war es, eine Temporeduzierung von der eigenen Speedgeschwindigkeit „180 km/h“ auf einen gefühlten Mittelwert von etwa „130 km/h“ zu probieren. Wir waren uns beide einig, dass „Tempo 100“ für Franka zu drastisch reduziert und nicht mehr authentisch wäre.
Etwa 4 Silben pro Sekunde
Was sagt die Forschung zum Thema Sprechtempo für das „Durchschnitts-Ohr“? Laut Untersuchungen können wir in der Zuhörerrolle in einem Bereich von 4 bis etwa 5 Silben pro Sekunde am besten folgen. Sagen Sie einmal laut das viersilbige Wort „Frühlingssonne“. Wenn Sie dafür etwa eine Sekunde benötigen, liegen Sie im Durchschnittstempo. Bei Franka haben wir 7 Silben als Ausgangsposition gemessen. – In einer Sekunde schaffte sie den Satz „Die Frühlingssonne scheint schon.“ Damit waren die „gefühlten 180 km/h“ von ihrer Kollegin absolut nachvollziehbar. Das klang dann so ähnlich, wie in der Medikamenten-Werbung, wenn am Ende noch einmal die Gefahren „runtergerattert“ werden: „Bei Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Doch reicht es, einfach sich selbst ein Tempolimit beim Schnellsprechen zu verordnen? So einfach ist es nicht.
Blick auf die eigene Innere Haltung
Vor der Arbeit mit praktischen Stimm-Tools, haben wir mit der Methode des „Inneren Teams“ nach Schulz von Thun, zunächst das eigene Mindset beleuchtet. Wir wollten der inneren Steuerung für das drastische Tempo auf die Spur kommen, bevor wir mit praktikablen Stimm-Übungen beginnen. Beim Inneren Team geht es darum, die eigenen unterschiedlichen inneren Anteile wahrzunehmen und sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und zu integrieren. Unser „Innen“ strahlt immer nach „Außen“ – d. h., welche inneren Anteilen bzw. „Stimmen“ wir in den Fokus rücken, wird nach außen hörbar. Welche inneren Stimmen sind verborgen, verstecken sich unter der Wasseroberfläche?

Welche inneren Anteile melden sich bei Franka mit Blick auf eine typische Redesituation auf einer Messe? Folgende fünf „Stimmen“ haben wir gesammelt und visualisiert, um Klarheit zu schaffen, wer sich innerlich so alles „tummelt“.
„Die Effektive“ meldete sich gleich zu Beginn. Dieser Stimme ist es wichtig, möglichst viele Infos in kurzer Zeit zu transportieren. Sie sorgt für Speed und „Tempo 180“.

„Die Gefällige“ als weitere innere Stimme hat eher die Gesprächspartner im Fokus und möchte nicht deren Zeit vergeuden und es „recht machen“. Deshalb ist sie ebenfalls sehr in Eile mit ihren Inhalten.

„Die Professionelle“ ist eine noch leise – jedoch sehr wichtige Stimme. Sie fühlt sich inhaltlich sehr sicher durch die lange Erfahrung und geht gelassen und ohne Druck in Redesituationen.

„Die Frohnatur“ hat Freude am Kommunizieren und am Kontakt mit Menschen. Mit einem Lächeln im Gesicht tritt sie auf ihre Gesprächspartner zu und genießt den Austausch.

„Die Automatisierte“ ist durch die sehr vertrauten Inhalte in Gefahr, diese schnell „herunterzuleiern“.

Für Franka wurde nach dem Sammeln und Visualisieren der einzelnen Anteile klar, was innerlich los ist und weshalb es ihr schwerfällt, langsam und ruhig zu reden. Denn zunächst einmal haben alle „Stimmen“ gute Gründe für ihr Dasein und Verhalten, alle sind wichtig. Im nächsten Schritt haben wir gemeinsam erhoben, welche Anteile sie in den Fokus rücken möchte, für ein langsameres Sprechtempo. Die gelassene „Professionelle“ sowie die gut gelaunte „Frohnatur“ findet sie dafür besonders hilfreich. Als blockierend für ein ruhiges Tempo hat sie für sich „Die Automatisierte“, „Die Effektive“ sowie die „Gefällige“ erkannt.
Generell ist unser Tempo individuell und abhängig von der Persönlichkeit – es geht also nicht darum, alle „über einen Kamm zu scheren“. Auch die Situation spielt eine Rolle. Vermutlich kennen Sie auch den Drang zum „Rasen“, wenn Sie aufgeregt oder nervös sind. Gleichzeitig verlangen unterschiedliche Situationen auch Varianz. Wenn ich einer Freundin sprühend eine witzige Anekdote vom Wochenende berichte bin ich vermutlich rasanter, als wenn ich einer Kollegin ruhig den Ablauf des geplanten Vorgehens eines Projektes erkläre. Die Angemessenheit der Situation spielt also eine Rolle.
Wie genau kommen wir nun auf eine angemessene Geschwindigkeit beim Reden, wenn wir eher Schnellsprecher sind?

Dazu 6 praktische Stimm-Tools für Mittelgeschwindigkeit „Tempo 130“
1. Klares Mindset
Franka hat für sich mitgenommen, vor wichtigen Sprechsituationen ihr inneres Mindset zu überprüfen und klar zu steuern – welche Stimme ist mir gerade hilfreich, welche eher blockierend? Die gelassene „Professionelle“ war ihr dabei am wichtigsten. Um in diese entspannte Haltung zu kommen, hat sie sich als Erinnerungsanker ein Codewort gewählt, dass sie sich selbst je nach Situation laut oder innerlich sagt. Sie wählte „Ohmmm.“

Welche inneren Stimmen kennen Sie, die Sie bei Vorträgen oder wichtigen Gesprächen lenken?
Und welche davon sind hilfreich, welche eher blockierend?
2. Pausen bewusst setzen
Ein sinnvoller Ansatz ist es bei Veränderungen, nicht nur zu schauen, was soll ich vermeiden, sondern eher den Blick darauf zu richten: „Was habe ich, was haben meine Zuhörer davon? Was benötigen insbesondere meine ZUhörer davon?“ Ein Hoch an der Stelle auf die Pause. Nehmen Sie Pausen bewusst mit rein (Pause!) Und zwar am bestem am Ende eines Gedankens (Pause!) oder wenn Sie am Ende eines Satzes in die Lösungstiefe gehen (Pause!). Gerne auch einfach mal zwischendurch (Pause!). Kleine Zäsuren gliedern Ihren Sprachfluss (Pause!) in kleinere „Häppchen“ (Pause!). Das ist eine Wohltat für die Gesprächspartner (Pause!).
Pausen helfen, das Gesagte zu strukturieren und die Verständlichkeit zu erhöhen. Gleichzeitig gönnen Sie sich selbst Zeit zum Nachdenken und zum Atmen. Die Atmung wird ruhiger und tiefer. Pausen sind also gleichermaßen für den Sprechenden und den Zuhörenden wertvoll und reduzieren das Sprechtempo.
3. Augen auf!

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren rund ums schnelle Sprechen ist der Blickkontakt. Wenn wir den Blickkontakt stärken und intensivieren, sinkt das Sprechtempo automatisch, durch die Ruhe und Zuwendung, die dabei entsteht. Gehen Sie in Beziehung mit Ihren Zuhörenden, schauen Sie sie direkt an. So kommen Sie in einen wirklichen Dialog, schaffen echten Kontakt, weg vom Monolog. Und „nebenbei“ wirken Sie viel gelassener.
4. Gestik ruhig einsetzen
Stimme und Gestik sind neurologisch eng miteinander verwoben. Wenn Sie Ihre Hände und Arme beim Reden ruhiger einsetzen, dann wird sich das ebenfalls auf ein entspannteres Tempo auswirken.
5. deutlicher artikulieren

Deutliches Sprechen braucht in der Regel mehr Zeit! Es wirkt also automatisch als „Bremse“ bei Highspeed. Mich beeindrucken Rapper wie Macklemore in „Can´t hold us“ oder Eminem in „Rap God“ mit ihrer genialen Deutlichkeit trotz der Schnelligkeit. Das ist aus meiner Sicht Wortakrobatik pur.
Wie geht es Ihnen? Fällt es Ihnen leicht, deutlich zu artikulieren oder neigen Sie zum Nuscheln? Sprechen Sie die Endungen mit, z. B. bei „zusammen“ oder „genommenen“, ist das „t“ in „nicht“ zu hören? Öffnen Sie Ihren Unterkiefer beim offenen Vokal „a“ wie in „Aal“ oder „Abend“?
Wenn wir gut artikulieren, benötigen wir keine große Laustärke, sondern eine Beweglichkeit der Zunge, der Lippen und des Unterkiefers. Das ist wie „Mundsport“. Unsere Muskeln im Körper sind zu den schnellsten Bewegungen im ganzen Körper fähig, wenn wir sie trainieren.
Hier mal eine Zungenbrecher für Sie, um die Deutlichkeit zu steigern – passend zum beginnenden Frühling und der bald startenden Rhabarbersaison: „Drei schmackhafte Rhabarberstangen“ mit verschiedenen Vokalen variieren.
Sprechen Sie möglichst deutlich und klar die folgenden Varianten:
A Dra schmackhafte Rhabarbarstangen.
O Dro schmockhofte Rhoborberstongen.
E Dre schmeckhefte Rheberberstengen.
I Dri schmickhifte Rhibirbirstingen.
U Dru schmuckhufte Rhuburburstungen.
Ü Drü schmückhüfte Rhübürbürstüngen.
Ö Drö schmöckhöfte Rhöbörbörstöngen.
Beim präzisen Artikulieren bewegt sich Ihr gesamter Sprechapparat mehr – Sie benötigen dafür mehr Zeit. Damit schlagen Sie 2 Fliegen mit einer Klappe: Die Aussprache wird deutlicher und Sie sprechen langsamer.
Eine Notfall-Übung für die Artikulationsbrillanz ist das „Daumensprechen“. Dazu sprechen (oder lesen) Sie ca. 2 Minuten lang, während Sie einen Ihrer Daumen ein Stück zwischen die beiden Zahnreihen schieben. Versuchen Sie möglichst langsam und deutlich dabei zu sprechen. Die Artikulation im Anschluss, wenn Sie den Daumen entfernen und normal sprechen, ist meist überraschend deutlich. Probieren Sie es gleich einmal aus.
6. Varianz in die Sprache bringen
Das Sprechtempo ist eins der nonverbalen Ausdrucksmittel, um das Gesagte lebendiger zu gestalten. Weitere „Lebendigmacher“ sind der Wechsel von Lautstärke, Tonhöhe, Artikulation und Melodieführung. Wenn Sie IMMER mit dem gleichen Tempo von 180, 130 oder auch 100 km/h unterwegs sind, wirkt die Sprache recht monoton. Es geht also nicht darum, nur in einem Tempo zu sprechen, sondern variantenreicher: mal langsamer, mal schneller – und alle Möglichkeiten dazwischen.
Mit diesen 6 Tipps können Sie an Ihrem angemessenen Sprechtempo arbeiten und Deutlichkeit und Lebendigkeit in Ihre Sprechweise bringen. So werden Sie hoffentlich nie den Satz hören „Sprich doch mal langsamer.“
Viel Vergnügen beim Ausprobieren! Ihre Beate Pflieger-Lorenz
Möchten Sie mehr zum Thema Stimme erfahren? Melden Sie sich gerne bei uns unter www.lorenz-grahn.de
Ein wunderbar praxisnaher Beitrag!
Ich selbst spreche oft zu schnell, verschlucke Wörter – und habe deinen Artikel daher mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Die Verbindung von innerem Mindset und konkreten Tools finde ich sehr hilfreich. Besonders das Bild vom „inneren Team“ hat bei mir direkt etwas angestoßen.
Deine Tipps sind anwendbar und motivierend – vor allem die bewusste Pause nehme ich mit. Danke für diesen klaren und inspirierenden Impuls!
Liebe Synke, ich danke dir sehr für deine wertschätzende Rückmeldung und freue mich, dass du ein paar Impulse mitnehmen konntest.