Embodiment: Was der Körper bereits weiß bevor der Kopf es begreift

„Jeder Zentimeter deines Körpers ist es Wert gefeiert zu werden!“

Embodiment: Was der Körper bereits weiß bevor der Kopf es begreift

Hand aufs Herz: Wie oft am Tag nehmen Sie Ihren Körper bewusst wahr? Hiermit meine ich nicht, ob Sie hungrig oder müde sind, sondern eher ob Sie spüren…

  • …wie sich Ihr Brustkorb beim Atmen hebt und senkt,
  • … ob Sie Ihre Schultern leicht „hoch“ gezogen oder eher entspannt „fallen“ gelassen haben,
  • oder ob Sie den Druck Ihrer Füße auf dem Boden wahrnehmen.

Es lohnt sich, ab und an die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu richten, er ist i.d.R. ein guter Seismograf für eigene Stimmungen und hilft uns unmittelbar, wenn wir etwas verändern wollen.

Wie das praktikabel im Alltag gehen kann möchte ich in diesem BLOGartikel ein wenig genauer beleuchten.

Embodiment, zu deutsch Verkörperung bezeichnet die wissenschaftliche Erkenntnis, dass unser Denken, Fühlen und Handeln grundsätzlich im Körper verankert ist. Man spricht auch von „verkörpertem Wissen“.

„Der Körper lügt nicht.“

Dieser Spruch ist mehr als eine Alltagsweisheit, denn inzwischen ist gut erforscht und wissenschaftlich belegt, wie eng Körper und Psyche miteinander verbunden sind. Zahlreiche Studien aus der Psychologie, den Neurowissenschaften und der Medizin zeigen: Unsere Körperhaltung, wie auch Mimik und Gestik beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln – und umgekehrt.

Embodiment ist dabei kein esoterisches Konzept, das ist mir an der Stelle wichtig zu sagen. Vielmehr gibt es validierte wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist untersuchen. 

Drei Erkenntnisse möchte ich an dieser Stelle näher erläutern: 

Embodiment und Emotionen

Ein Klassiker ist die Untersuchung von Fritz Strack, Sabine Stepper und Leonard Martin (1988). Personen, die einen Stift quer zwischen die Zähne hielten (und so ein Lächeln simulierten), bewerteten Cartoons als lustiger als jene, die den Stift zwischen den Lippen hielten (und so ein Stirnrunzeln andeuteten). Neuere Untersuchungen hierzu nutzen zusätzlich bildgebende Verfahren wie fMRT und EEG, um die neuronalen Mechanismen hinter dieser Erkenntnis besser zu verstehen.

Auch Amy Cuddy und ihr Team (2010, 2018) wiesen nach, dass sogenannte Power Poses (z. B. aufrechter Stand mit offenen Armen) bereits nach zwei Minuten die Testosteron- und Cortisolwerte im Blut verändern können. Das wirkte sich positiv auf Selbstvertrauen und Stressresistenz in dem Moment aus.  

Wichtig: Die hormonellen Effekte aus der Erststudie konnten später nur eingeschränkt bestätigt werden. Nachweisbar bleibt, dass Körperhaltungen subjektives Erleben im Moment beeinflussen, die biologischen Langzeiteffekte sind jedoch weniger klar definiert.

Embodiment und Entscheidungsverhalten

Ein weiteres spannendes Feld ist die Rolle des Körpers bei Entscheidungsprozessen.

Maja Storch und Frank Krause untersuchten im Jahre 2007 im Rahmen des Zürcher Ressourcen Modells wie Entscheidungsprozesse verbessert werden können, wenn der Kopf (die kognitive Bewertung) und der Bauch (die Bewertung über somatische Marker/Emotionen) gleichermaßen einbezogen werden. Die Untersuchung verlief in zwei Schritten: 

  • Sie ließen Teilnehmende für Entscheidungen innere Bilder (Moodboards) erstellen und achteten auf die körperliche Reaktion dazu.
  • Sie stellten fest, dass Entscheidungen, bei denen positive somatische Marker spürbar waren (z. B.Wärme, Erleichterung, Aufatmen) nachhaltiger waren und zu mehr Zufriedenheit und Umsetzungsmotivation bei den Probanden führten.

📌 Ihre Erkenntnis:

Der Körper sendet oft schneller und zuverlässiger Signale als der Verstand (Bauchgehirn-Prinzip). Diese Signale lassen sich durch Körperwahrnehmung und Visualisierung bewusst machen.

Gute Entscheidungen sind daher jene, die Herz, Kopf und Bauch einbeziehen.

Embodied Cognition

Embodied Cognition beschreibt, dass körperliche Erfahrungen (Wärme/Kälte) unser Denken und soziale Urteile beeinflussen. Spüren wir Wärme wird das auch mit sozialer Wärme assoziiert und färbt auf unsere Einschätzung ab. Ein Prozess, der i.d.R. unterbewusst abläuft.

Dieser Effekt wurde in einem bekannten Experiment von Williams & Bargh (2008) nachgewiesen. Dazu gaben sie Teilnehmenden entweder eine warme Tasse Kaffee oder ein kaltes Getränk in die Hand, bevor diese eine fiktive Person anhand einer kurzen Beschreibung einschätzen sollten.

Ergebnis:

  • Wer eine warme Tasse hielt, bewertete die fiktive Person als wärmer, vertrauenswürdiger und sympathischer.
  • Wer eine kalte Tasse hielt, schätzte die Person als distanziert und reserviert ein.

Probieren Sie es einmal selber aus: Wenn Sie ein schwieriges Gespräch vor sich haben und über eine mögliche Strategie nachdenken, dann nehmen Sie bewusst eine Tasse mit warmem Tee in die Hand.

„Und?“„Wie verändert sich Ihr Bild von der Situation, während Sie die Wärme spüren?“ „Merken Sie einen feinen Unterschied?“ 

Ich fand diese Erkenntnis sehr spannend. Probieren Sie den Effekt einmal selbst aus, dort wo es Ihnen nützlich erscheint.

Wissenschaftlichen Studien zufolgen kann der Embodied Cognition Effect aktiv für Perspektivwechsel oder auch die Regulation von Emotionen sorgen.

Das sind nur drei von zahlreichen spannenden Studien zum Thema Embodiment.

Wie nun nutzen wir die Weisheit des Körpers im Coaching oder in der Gesprächsführung? 

Fünf z.T. kleinste Interventionen möchte ich Ihnen am Beispiel von Julia (Name geändert) vorstellen. Julia ist 36 Jahre alt und leitet seit 6 Monaten ein Team von sieben IT- lern in einem Unternehmen in Hamburg. Sie kam ins Coaching weil es ihr derzeit noch schwerfällt, sich im Gespräch durchzusetzen. Insbesondere ein Kollege scheint sie als Führungskraft  nicht zu akzeptieren, er  stachelt auch andere Kollegen mit spitzen Bemerkungen über Julia an.

In Julias Fall habe ich mich für ein Einzelcoaching mit Seminarschauspieler entschieden, damit sie gleich praktisch ins Üben kommt. Wir erarbeiten eine Gesprächsstrategie, die Julia  direkt im Coaching im Rahmen eines dreistufigen Rollenspiels ausprobiert. Die Seminarschauspielerin agiert hier u.a. als schwieriger Gesprächspartner – in dem Fall der Kollege.

In der ersten Gesprächssituation fällt mir auf, dass Julia vorne auf dem Stuhl sitzt und die Beine übereinandergeschlagen hat. Auch legt sie den Kopf im Gespräch etwas zur Seite, eine Geste, die in der Regel Sympathie und Vertrauen ausstrahlt, sie jedoch gleichzeitig „kleiner“ macht. 

In der zweiten Stufe spiegelt die Seminarschauspielerin Julias Körperhaltung (hier werden die Rollen getauscht und Julia erlebt aus der Perspektive ihres Kollegen die eigene Wirkung im Gespräch). In einem anschließenden Feedback sagt sie selbst ein wenig erstaunt, wie unsicher sie als Julia rübergekommen ist. In der Rolle des Gesprächspartners hätte sie sich regelrecht dominant gefühlt…das gefiel ihr gar nicht.

Wir unterbrechen das Rollenspiel und arbeiten mit Julia insbesondere an ihrer Körperhaltung, denn diese ist zu 80 % verantwortlich für die eigene Wirkung im Gespräch.  

Und hier kommen nun die Erkenntnisse aus dem Embodiement zum Einsatz. Wir konzentrieren uns auf drei Übungen:

  1. Positive Ressourcen über Körpergesten verankern

Ich bitte Julia, sich an eine Situation zu erinnern, in der sie sich stark, gelassen oder erfolgreich gefühlt hat. Auf die Frage: Wo im Körper spürst du das? lokalisiert sie ihren Brustraum, den sie gleich in einem Impuls hebt und sich somit ein wenig öffnet.

Ich bitte sie, diese Haltung bewusst zu verstärken (Brust noch ein Stück weiter öffnen) Dabei richtet sie sich wie von selbst auf und fühlt sich gleich wacher und präsenter. Auch empfindet sie es plötzlich als völlig normal, den Kollegen auf sein Verhalten anzusprechen. So hat die veränerte Körperhaltung nicht nur einen Effekt nach Außen sonder auch im Innen. Sie speichert diese Haltung als Ressource für die Gesprächssituation mit dem Kollegen.

  1. Atmen für die Zentrierung

In einem weiteren Schritt lenken wir die Aufmerksamkeit auf den Atem und bitten Julia, ganz bewusst kaum hörbar und gegen den Widerstand ihrer Lippen auszuatmen. Das kommt gedanklich einem erleichterten Seufzen (natürlich nicht hörbar) gleich. Spannend ist, dass Julia beim Ausatmen auch die Schultern fallen lässt, ebenfalls ein spürbares Signal der inneren Entspannung. Sie nimmt für sich mit, dass sie durch das bewusste Ausatmen Stress abbaut und zuversichtlicher in die Gesprächssituation geht.

 Wenn Sie die Wirkung des Atmens selber erproben wollen – hier ist die Übung dazu:

  • Setzen Sie sich aufrecht, stellen Sie beide Füße am Boden ab
  • Atmen Sie langsam durch die Nase ein (4 Sekunden), halten Sie den Atem kurz an und atmen Sie dann doppelt so lange durch die Nase aus (8 Sekunden).
  • Machen Sie mehrere Atemzüge und halten dabei den Fokus auf den Körper.
  • Spüren Sie nach „Was hat sich verändert?“
3. Erdung und innere Festigkeit zur Stabilisierung in belastenden Situationen

Als dritte Übung geben wir Julia auf den Weg „Wurzeln zu schlagen“. Klingt im ersten        Moment vielleicht komisch, ist aber sehr effektiv für die eigene Sicherheit im Gespräch. Die Übung hat meine Kollegin entwickelt, einen Hinweis dazu finden Sie in Ihrem im Jahre  2023 erschienen Buch „Stimme und Präsenz“

Wir bitten Julia, hüftbreit mit festem Kontakt zum Boden zu stehen, dabei die Knie leicht gebeugt zu halten und das Gewicht zu spüren.

Dabei soll sie sich vorstellen, dass sie feine Wurzeln in den Boden schlägt, sich Stück für Stück mehr verwurzelt……die Hände legt sie auf ihren Unterbacu und atmet tief ein. 

Das verleiht ihr Stabilität und Sicherheit.

Nach diesen drei Übungen geht Julia in die dritte Stufe des Rollenspiels. Sie probiert kleinste Veränderungen aus, die wir ihr mit auf den Weg gegeben haben. Das Ergebnis ist verblüffend – es sind gar nicht die Worte, die sie sagt sondern die Art und Weise wie sie sich präsentiert, die einen Unterschied in Präsenz und Selbstbewusstsein ausmachen. Der Kollege (dargestellt durch die Seminarschauspielerin) ist überrascht.

Zum Schluss des Coachings bitten wir Julia das veränderte Körpergefühl zu verankern. 

 📌 Die Übung dazu lautet: 

4. „Wie wäre es, wenn…“– Zukunft verkörpern

Ablauf:

Julia soll sich eine weitere Situation vorstellen, in der sie das gewünschte Verhalten bereits umgesetzt hat. 

Ich frage Sie: Wie würdest du dann stehen, sitzen oder sprechen? 

Julia nimmt die gewünschte Haltung und Mimik bewusst ein und beschreibt das Erleben. Sie spürt das angenehme Kribbeln unter ihren Füsse, die parallel auf dem Boden stehen. Dies merkt sie sich als Anker für weitere Situationen.

Wie Sie sehen sind Embodiment Übungen meist kleinste Interventionen, die  besonders bei emotional herausfordernden Themen eine wirksame, oft überraschend einfache Ergänzung zu Gedanken und Worten sind. 

Ein Webinar zum Thema „Erfolgreiche Entscheidungen treffen – Kopf und Bauch im Einklang“ bieten wir am Mittwoch, den 02. Juli 2025 an. Haben Sie Lust, teilzunehmen? Was sagt Ihr Bauchgefühl :-)! 

Ich  freue mich über Ihre Resonanzen. Alles Gute!  

Ihre Karin Grahn

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..