Angstfrei arbeiten – eine Kultur der psychologischen Sicherheit etablieren
Beim Lesen der neuen Ausgabe der Zeitschrift Manager Seminare bin ich auf einen interessanten Artikel zum Thema „Psychologische Sicherheit in Unternehmen“ gestoßen. Die Betrachtungsweise „angstfrei arbeiten“ fand ich spannend und die benannten Faktoren wichtig, insbesondere im immer agiler werdenden beruflichen Umfeld. Daher habe ich einige der dort aufgeführten Ideen und Anregungen für Führungskräfte in folgenden Beitrag zusammengefasst. Viel Spaß beim Lesen und gerne auch anschließenden Diskutieren:
Produktive Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens oder Teams ist ein wichtiger Erfolgsfaktor – doch wie gelingt diese?
Menschen arbeiten kreativ und innovativ zusammen, wenn sie sich trauen, eigene Ideen zu äußern, Standards kritisch zu hinterfragen und Fehler zuzugeben. Jede Beobachtung, jeder Gedanke zählt – gute Zusammenarbeitet bedeutet, dass Mitarbeiter sich einbringen.
Schweigen ist teuer
Die Realität sieht häufig noch anders aus: Arbeitnehmer, die sich einbringen, befürchten, dass ihr Vorstoß als „Besserwisserei“ abgestempelt wird oder sie sich gar mit Fragen lächerlich machen. Wer mehr als 10 Jahre berufstätig ist, hat oft abschreckende Erfahrungen mit allzu großer Mitteilsamkeit gemacht, oder aber Sätze wie: „Tun Sie einfach, was von Ihnen verlangt wird!“ gehört. Auch wenn Führungskräfte sich offen dafür zeigen, ihre Mitarbeiter in die Diskussion und Entscheidungsfindung einzubinden, bleiben diese oft reserviert. Der „neuen“ Offenheit trauen sie nicht über den Weg!
Das hat Folgen, denn so können sich Fehlentwicklungen ungebremst entfalten. Innovation, Lernen und Weiterentwicklungen bleiben auf der Strecke. Ein hoher Preis für viele Unternehmen – insbesondere im immer agiler werdenden Umfeld.
Das Konzept der Psychologischen Sicherheit
Aus Sicht von Amy Edmondson, Professorin an der Harvard University, ist das Schweigen eine der Hauptursachen für Misserfolg und Stagnation. So entwickelte sie im Jahre 1999 das Konzept der Psychologischen Sicherheit und prägte den Begriff des „angstfreien Arbeitens“. Die Wissenschaftlerin gilt heute als eine der 50 einflussreichsten Management-Vordenkerinnen und wurde in den Jahren 2011, 2013, 2015 und 2017 als solche ausgezeichnet.
Die Idee wurde eher durch einen Zufall entdeckt: Edmondson untersuchte die Teamarbeit in Krankenhäusern und stellte fest, dass ausgerechnet in Teams, die besonders gut performten, die Fehlerquote sehr hoch lag und umgekehrt. Ihre Vermutung, dass die besseren Teams nicht unbedingt mehr Fehler machten, stattdessen jedoch häufiger über ihre Fehler berichteten, bestätigte sich auch in zahlreichen weiteren Studien“ (Manager Seminare Heft 268, Seite 32 ff). In unserem letzten Blogartikel vom 01.07.2020 haben wir bereits über den produktiven und achtsamen Umgang mit Fehlern berichtet. https://lorenz-grahn.de/produktiver-und-achtsamer-umgang-mit-fehlern/
Was folgte daraus…
Wer also erreichen will, dass Mitarbeiter mitdenken und mitgestalten, muss ihnen Sicherheit geben. Mitarbeiter müssen wissen, dass ihre Stimme und ihre Erfahrungen zählen. Sie müssen darauf vertrauen können, ihre Meinung äußern zu können ohne missachtet oder sanktioniert zu werden, denn
„Nur wer gehört wird, spricht!“
Dann sind Mitarbeiter bereit oder fühlen sich sogar verpflichtet, ehrlich zu sein.
Dabei ist Psychologische Sicherheit mehr als Vertrauen. Als „goldene Regel“ der Zusammenarbeit hat Amy Edmondson formuliert:
„Behandle andere Menschen so, wie du selber behandelt werden möchtest!“
Wer also selber respektvolle Reaktionen auf die eigenen Ideen erwartet, muss das gleiche Verhalten anderen zukommen lassen.
Ein Klima der psychologischen Sicherheit zu schaffen liegt ganz entscheidend in den Händen der Führungskraft. Im folgenden sind vier Maßnahmen bekannt, die helfen:
1. Ein gemeinsames Arbeitsverständnis sicherstellen
Klären Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern die Ziele und Herausforderungen der jeweiligen Arbeit. Sprechen Sie in einer Teamrunde oder im Einzelgespräch folgende Themen an:
- Was sind die Anforderungen, die auf jeden Fall erfüllt werden müssen?
- Welche Unabwägbarkeiten warten vielleicht auf das Team/auf einzelne Mitarbeiter?
- Wer profitiert von unserer Arbeit? Welchen Sinn macht das, was wir tun?
In einer Produktionsfirma, die u.a Gummidichtungen für eine bestimmte Automarke herstellte sahen die Mitarbeiter anhand eines Prototypen, wo genau welche ihrer Dichtungen verarbeitet waren. So wurde das Detail eingebunden in ein größeres Ganzes, mit der Folge dass die Mitarbeiter des Unternehmens sich nachweislich besser mit ihren Produkten identifizieren konnten bzw. selbst dafür sorgten, Mängel zu minimieren.
Sprechen Sie auch darüber, wie wichtig Aufmerksamkeit und das Hinweisen auf Fehler sind, zeigen Sie anhand von Beispielen auf, was passieren kann, wenn nicht rechtzeitig auf Irritationen hingewiesen wird, ganz im Sinne von: Lieber eine Nachfrage mehr als später eine ganze Produktionscharge zu vernichten, da diese unbrauchbar ist.
2. Mitwirkung aktiv Erzeugen
Eine Möglichkeit besteht darin, die eigene Haltung zur Arbeit anzupassen: Wenn Arbeiten als ein Lernprozess gesehen wird, dann fällt es leichter, Unwissenheiten oder Fehler zuzugeben, Unterstützung zu suchen und anzunehmen. Wird Arbeit dagegen verstanden als das möglichst perfekte Ausführen von vorgegebenen Aufgaben, dann werden Abweichungen vom erwarteten Ergebnis eher als persönliches Scheitern und als mangelhaftes Ergebnis empfunden.
Um die Offenheit für mögliche Fehler zu stärken, führte beispielsweise Google das “Risiko der Woche” ein. Im Team-Meeting nennt jeweils ein Teammitglied eine Situation aus der vergangenen Woche, in der er/sie ein Risiko eingegangen ist – unabhängig davon, ob Konsequenzen schon bekannt sind, ob sie gut oder schlecht ausgefallen sind. Ähnlich wirkt folgende Beaobachtungs- aufgabe ein, die über einen bestimmten Zeitraum hinweg durchgeführt werden kann:
- Beobachte dich selbst, wie du mit unerwarteten Situationen umgehst. Welche verschiedenen Gedanken hast du? Sind diese eher abwertend/abwehrend oder positiv lösungsorientiert?
- Suche aktiv nach beinahe-Fehlern und finde Lösungen dafür. Sprich mit Deinen KollegInnen darüber.
Generell kommt dem Austausch mit den TeamkollegInnen ein sehr hoher Stellenwert zu. Psychologische Sicherheit basiert darauf, dass Menschen miteinander sprechen – über Erfolgserlebnisse, über Banalitäten, aber auch über Fehler, Ängste und Pläne. Und dazu gehört auch: Neugierig bleiben, Fragen stellen, und auch bestehende Prozesse kontinuierlich hinterfragen.
Welche Strukturen gibt es in Ihrem Unternehmen, die Mitarbeiter einladen, ihre Stimme zu erheben? Haben Sie z.B. Arbeitsgruppen, die Ideen hinterfragen? Fühlen sich die Mitarbeiter sicher, offen nachzufragen?
3. Konstruktiv reagieren
Zeigen Sie als erste Reaktion Wertschätzung, wenn Ihre Mitarbeiter eigene Ideen oder kritische Anmerkungen einbringen, unabhängig davon wie wesentlich der Beitrag ist. Die Tatsache alleine, dass Mitarbeiter sich einbringen, reicht aus, um dies kurz positiv zu benennen. Stellen Sie sich folgende Situation in einem Krankenhaus vor: Einer Mitarbeiterin der Gynäkologie fällt auf, dass der Arzt es unterlässt Patienten bei der Entlassung ein bestimmtes Medikament zu verschreiben. Im Rahmen einer gerade besuchten Fortbildung hatte sie gelernt, dass gerade dieses Medikament wesentlich beim Auftreten einer bestimmten Symptomatik (die der Patient zeigte) ist. Nachdem der Patient gegangen ist, wagt die Krankenschwester es, den ärztlichen Kollegen darauf anzusprechen. Eine wertschätzende Reaktion des Arztes könnte so lauten: „Danke, dass Sie das ansprechen! Ich habe das Medikament nicht verschrieben, weil…!“ Erst dann folgt eine kurze Erläuterung, wie es zur Entscheidung gekommen ist. Dieses Verhalten ermuntert mehr zum kritischen Mitdenken, als eine Aussage wie: „Sie hinterfragen wohl meine Kompetenz!“
4. Klare Verhaltenverstöße sanktionieren
Was ist schädliches Verhalten in Ihrem Unternehmen? Was verhindert gemeinsames Lernen?
Stellen Sie sicher, dass alle Mitarbeiter die Antworten auf diese Fragen kennen. Tritt „schädliches“ Verhalten auf – z.B. in der Form, dass zwischen zwei Kollegen über andere Mitarbeiter geredet wird (statt mit ihnen zu reden), dann muss dieses Verhalten sofort benannt und ggf. hart bestraft werden.
Sprechen Sie störendes Verhalten deutlich an, bleiben Sie beharrlich, wenn nicht akzeptables Verhalten sich wiederholt. Zögern Sie in dem Fall nicht Konsequenzen zu ziehen. Hier gilt eine interessante Paradoxie: Sind Sie definitiv entschlossen, eine angekündigte Konsequenz durchzusetzen, wird dies mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erforderlich werden, weil der Adressat Ihre Entschlossenheit instinktiv spürt und sich entsprechend verhält. Umgekehrt gilt: Wer Drohungen ausstößt, die er im Ernstfall nicht einlösen kann oder will, macht sich unglaubwürdig – auch für weitere Situationen. Mitarbeiter schätzen Glaubwürdigkeit!
Achten Sie darauf, dass Sanktionen die logischen Folgen des eigenen Handelns berücksichtigen. Ist z.B. eine Aufgabe schlampig erledigt, ist die logische Folge nicht ein „Anschiss“, sondern dass die Arbeit von dem Verantwortlichen nachgebessert werden muss. Und wenn die Aufgabe zeitkritisch ist, dann muss es noch am selben Tag geschehen – egal wie lange dies dauert.
Wollen Sie überprüfen, inwieweit es Ihnen bereits gelungen ist, psychologische Sicherheit innerhalb Ihres Teams zu vermitteln? Hierzu finden Sie unter www.managerseminare.de/MS269AR01 den kompletten Artikel sowie einen Test für Führungskräfte.
Oder Sie schreiben uns bzw. rufen durch, wenn Sie Fragen haben. In unseren Trainings und Einzelcoachings gehen wir sowohl auf Fragen der eigenen inneren Haltung wie auch auf Gesprächskompetenzen ein, die konstruktives „miteinander reden“ ermöglichen.
Wir freuen uns, wenn Sie Ideen aus dem Beitrag mitnehmen können, und diese mit uns teilen :-). Ganz herzlichen Gruß aus der Münzstraße von
Karin Grahn und Beate Pfleger-Lorenz
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